Judith Muster ist Keynote Speakerin am Transformation Camp 2024 (www.transformationcamp.org) und unsere Gesprächspartnerin im neuen Blog. Mit ihr sprechen wir über die Organisation von morgen und Herausforderungen denen sich die Organisationentwicklung stellen muss.

Die studierte Soziologin und ausgewiesene Organisationsexpertin ist als Beraterin und akademische Mitarbeiterin der Universität Potsdam für Organisations- und Verwaltungssoziologie, u.a. für innovative und postbürokratische Organisationsmodelle, Führungsforschung sowie Digitalisierungs- und Datafizierungsforschung.

 

fifty1: Liebe Judith, schön dass wir dich als Speakerin zum Transformation Camp, am 26. und 27.April 2024 gewinnen konnten.
Gerne möchten wir schon jetzt ein paar spannende Gedanken mit dir teilen. Welche Themen beschäftigen dich derzeit in deiner Arbeit als Organisationsentwicklerin am meisten?

Judith: In der Organisationsentwicklung habe ich nach wie vor mit den Klassikerthemen zu tun, welche sich derzeit aber noch zuspitzen. Es geht viel um Struktur-, Strategie-, Kooperations-  und Kulturfragen. Am Ende sind es immer diese Themen, auf die es hinausläuft, die Frage ist, mit welcher Einflugschneise Organisationen gerade auf uns zukommen.

Das sind einerseits Themen wie digitale Transformation, bei der die Organisation in ihrer Wildheit und Verfasstheit feststellt einen blinden Fleck zu haben. Oft wird davon ausgegangen, dass die Technik es richten wird und dann stellt man fest: Huch, die Organisation ist gar nicht so strukturiert, wie sie formal behauptet, oder: die Technik, die eigentlich entlang der formalen Prozesse entstanden sein sollte, ist gar nicht so stark wie angenommen. Und dann wiederum stellt man fest: Wir müssen uns mit der Eigenlogik unserer Organisation nochmal anders befassen. Das wäre so eine Einflugschneise.

Oder das Thema Retention, also die Frage, wie ich Fachkräfte in der Organisation halte, wenn der Markt immer angespannter wird und ich diese immer schneller an andere Unternehmen verlieren kann weil sie vielleicht sogar mehr bezahlen. Und auch da stellt sich die Frage wie es gelingt, die Organisation kulturell so aufzustellen, dass die Leute dort gerne arbeiten.

fifty1: Danke Judith. Bei dieser Schilderung können sich gerade sicher viele Leser:innen widerfinden. Wenn du mit Organisationen arbeitest, wo nimmst du derzeit die größten Herausforderungen wahr?

Judith: Was immer gilt ist, dass Organisationen unterschätzen, was sie als System ausmacht. Sie unterschätzen, wie steuerbar ihre Organisation ist. Sie denken, dass eine Organisation eine rationale Maschine ist, bei der man nur die richtigen Hebel in die richtige Richtung stellen muss und dann funktioniert sie. In kritischen Situationen wie zum Beispiel während der Pandemie, bei Lieferkettenkrisen oder einem angespannten Arbeitnehmer:innen-Markt kommt dann die Erkenntnis: das ist gar nicht so.

fifty1: Du hast ein spannedes Buch geschrieben in dem du die Humanisierungsthese beschreibst. Magst du uns ein bisschen mehr davon erzählen?

Judith: Das Buch, das ich mit meinem Kollegen Kai Matthiesen zusammen geschrieben habe, ist entstanden, weil wir angefangen haben uns zu streiten. Weil er als Wirtschaftsethiker davon ausgeht, dass es eine Ethik für Organisationen geben muss und ich als Systemtheoretikerin eher skeptisch wäre, ob es ethische Unternehmen geben kann.

Oder wie Luhmann so schön sagen würde: Die Ethik hat es verpasst, vor der Moral zu warnen. Und aus diesem Streit heraus ist die ernsthafte Frage entstanden, wie es gelingt, dass Organisationen weniger Zumutung für ihre Organisationsmitglieder sind.

Wie kann es funktionieren, dass sich Organisationen besser organisieren? Und „besser“ gemeint im Sinne von „besser für die Menschen, die in ihnen arbeiten.“  Auf dieser Suche haben wir festgestellt, dass das größte Hindernis ist, dass man den Menschen in den Mittelpunkt stellt und davon ausgeht, dass der Mensch das größte Problem in Organisationen ist, wenn irgendwas nicht funktioniert.

Dieses Buch stellt die Organisation als Sozialsystem in den Mittelpunkt, um sie besser zu machen. Die Strukturiertheit und die Verfasstheit der Organisation und damit den größten Lösungsmechanismus, den wir dabei haben. Damit kann es viel humaner sein, nicht auf den Menschen zu schauen, sondern eben auf die Organisation in ihrer Struktur.

fifty1: Du verfolgst gemeinsam mit Stefan Kühl den Ansatz der diskursiven Beratung. Warum glaubst du, dass es hilfreich ist, mit diesem Ansatz an Organisationen heranzutreten?

Judith: Organisationen kann man nur durch Interaktionen ändern. Der Ansatz der diskursiven Beratung versucht auf der einen Seite die Organisationssoziologie dafür zu nutzen, die Verhaltensweisen, die man in der Organisation erkennt, auf die Verhältnisse der Organisation zurückzuführen. Und auf der anderen Seite ganz handwerklich Interaktionen so anzulegen, dass sie möglichst effektiv sind. Und das heißt eben nicht, dass alle mitreden, sondern dass man sehr gut steuert, wer wann worüber reden und nachdenken muss, um zu einer guten Entscheidung zu kommen.

Am Ende geht es nicht um den Workshop, sondern es geht darum, wenn man das Organisationssystem zum Beispiel als eines versteht, das nicht nur formale Strukturen hat, sondern auch informale und diese informalen Strukturen eben latent sind – also unter Strukturschutz stehen, (die Organisation passt auf, dass die nicht besprechbar werden) – dann ist es Aufgabe von diskursiver Gestaltung, genau diese latenten Strukturen zu finden und sie vorsichtig ins Licht der Organisationsöffentlichkeit zu ziehen. Und zwar so vorsichtig, dass die Organisation mit ihrem Immunsystem nicht so reagiert, dass man wieder rausfliegt und man eben gar nichts verändern kann.

fifty1: Wir sind sehr gespannt, mehr zu diesen spannenden Themen beim Transformation Camp im April von dir zu hören. Warum nimmst du diesen Weg auf dich und sprichst bei uns beim Transformation-Camp? Was ist deine Botschaft?

Judith: Meine Botschaft ist: Erkennt die Organisation als wildes Sozialsystem an. Und ich komme, weil ihr mir versprochen habt, dass da spannende Leute sind, die genau über diese Frage Lust haben nachzudenken. Und weil ich das Gefühl habe, dass ich selbst etwas lerne, wenn ich zusammen mit anderen spannenden Menschen in den Diskurs gehen darf.

 

Zur Person:

Dr. Judith Muster wurde 1979 geboren und ist Beraterin, Wissenschaftlerin und Publizistin. Als Partnerin bei Metaplan berät sie Unternehmen und Verwaltungen bei Reorganisationen, Strategieentwicklung und Kulturwandel. Als Wissenschaftlerin forscht, lehrt und publiziert sie zu organisatorischen Implikationen der Digitalisierung, postbüro-kratischen Organisationsmodellen und den Möglichkeiten und Grenzen von Führung.

Die Verbindung von Praxis und Wissenschaft ist ihre Stärke. Ihre Thesen sind klar, provokant, fundiert und klug. Mit ihrem soziologischen Blick auf Führungs- und Organisationsthemen findet sie Lösungen für aktuelle Herausforderungen.

Judith Muster ist (Co-)Autorin der Bücher „Die Humanisierung der Organisation“ (2022) und „Postbürokratisches Organisieren“ (2021) und wurde für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet, zuletzt vom Personalmagazin als eine von 40 führenden HR-Köpfen (2023).

 

Das Gespräch mit Judith Muster führte Mirjam von Hofacker.

 

Kennst du übrigens schon Mina Saidze? Sie wird ebenfalls bei uns am Transformation Camp 2024 eine Keynote halten. Thema: FairTech und die Zukunft der Mensch-Technologie-Beziehung. Schau vorbei.

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