Holokratie – sicher schon gehört – hat mit Organisation zu tun – verspricht, dass Dinge anders werden – weniger top down – mehr Eigenverantwortung – das sind große Versprechen – aber wie geht das eigentlich und wie fühlt sich das an?
Wir bei fifty1 sind holakratisch aufgestellt und wollen Kund:innen in ihrer Transformation wirksam machen. Daher haben wir beispielsweise auch den Anspruch Themen einfach zu erklären – was wäre da besser geeignet als in diesem Beitrag unsere Kollegin Carina Aberer zu Wort kommen zu lassen? Sie ist nämlich nicht als Beraterin im Staff, sondern kümmert sich in Projekten um Video- und Bildformate und ist zentrale Ansprechpartnerin für Marketingthemen. Sie hatte vor fifty1 noch keine Berührungspunkte mit Holokratie und ist insofern in eine für sie völlig neue Arbeitswelt eingetaucht.
Wie ich Organisation bisher erlebt habe
Meine berufliche Laufbahn hat vor fifty1 sehr anders ausgeschaut. Nach meinem Studium ging es für mich auf direktem Weg in die Medienbranche Österreichs. Erst ein paar Jahre beim Radio, dann beim Fernsehen – immer im Bereich Video/Grafik/Content Creation. Als Fazit dieser Zeit kann ich sagen: die Medienwelt wird ihrem Ruf gerecht – viel Stress, wenig Zeit, eine hohe Leistungserwartung und teilweise schwer zu ziehende persönliche Grenzen.
Meine Einstiegserfahrungen in der Medienwelt waren für mich sehr prägend. In einer Welt zwischen engen Freundesgruppen unter Kolleg:innen und strenger top-down Haltung von Führungskräften, kam es regelmäßig zu Spannungen und Auseinandersetzungen. Dabei kam es auch zu lautstarkem “Feedback” an einzelne und ungefilterte Emotionen anstelle von konstruktiven Rückmeldungen. Eine typische Dynamik in Regelmeetings war, dass nur wenige Teilnehmer:innen offen sprachen und offensichtlich starke Hemmungen bestanden Fragen zu stellen, Ideen einzubringen oder Feedback zu geben. Im Fokus standen quantitative KPIs, eine Auslastungssteuerung gab es aber nicht.
Dialog und selbstbestimmtes Arbeiten waren für mich nicht ausreichend spürbar und so entschloss ich mich nach zwei Unternehmen in der selben Branche, mit ähnlichen Herangehensweisen, dass ich etwas ändern wollte! Ich erkannte für mich, dass Inhalte und Themen ein Teil meiner Motivation waren, aber eben nicht alles. Was genau ich aber suchte, wusste ich damals noch nicht
Guten Tag Holokratie
Gesucht, gefunden! Ich stieß eines Tages auf eine Ausschreibung von fifty1, die irgendwie anders daherkam. Was genau fifty1 so tut, darauf konnte ich mir nicht sofort einen Reim machen. Die Themen sprachen mich aber an und die Art und Weise der Ausschreibung, die Offenheit für Ideen und Impulse und die Möglichkeit mitzugestalten, waren interessant.
Letztlich brachte die gewollte Veränderung eine große Menge neuer Informationen, Erlebnisse und Arbeitsweisen mit sich, die anfangs zugegebenermaßen etwas überfordernd wirkten. Neue Begriffe wie „tactical“ oder „Spannung“, neue Meetingabläufe und unbekannte Formate. Aber auch hierfür kann Holokratie quasi selbst helfen, denn es gibt viele hilfreiche frei verfügbare Quellen.
Holokratie – was ist das eigentlich?
Bei Holokratie handelt es sich um ein Konzept zur Unternehmensorganisation, sozusagen ein Betriebssystem. Der Begriff setzt sich aus “Holon” und “Kratie” zusammen. Wie auch in „Demokratie“ bedeutet “kratie” Herrschaft oder Macht und „Holon“ bedeutet “Teil eines Ganzen”. Genau wie eine Körperzelle eine eigene Struktur und Funktionsmeachanismen hat und gleichzeitig Teil eines Organs ist, das ebenfalls ein “Ganzes” ist und gleichzeitig Teil des Körpers, ist das auch mit den Kreisen in der Holokratie.
Unternehmen, die die darauf setzen, verzichten damit auf klassische Hierarchien und Machtverhältnisse und ersetzen sie durch gemeinsam vereinbarte Regeln, Rollen und Kreise. Die Kreise zahlen mit ihrem jeweiligen Purpose (also dem Daseins-Sinn und Zweck) auf den Purpose des Unternehmens ein. In den Kreisen sind die unterschiedlichen Rollen zugeordnet, die ebenfalls einen Purpose haben, der die Leitplanken des Handelns darlegt. Rollen können von einer oder mehreren Personen energetisiert (wieder so ein neues Wort) werden. Ein Beispiel dafür ist die Berater:innen Rolle bei uns oder auch die operative Sales Rolle.
Durch das Modell und die entsprechende transparente und dynamische Abbildung im zugehörigen Tool, Holaspirit, sowie regelmäßige Checks (bei uns ein monatliches „check all your roles“ mit dem Zweck zu schauen, ob einige Rollen überhaupt gelebt werden), kann sich jede Person innerhalb der Organisation ihrer Rollen sicher sein. Dies ist ein wichtiger Grundbaustein für das selbstorganisierte Arbeiten. Der Purpose stellt den grundsätzlichen Denk- und Handlungsrahmen dar und die Rollen zahlen darauf ein. Jede Person kann und muss fortlaufend evaluieren wieviele Rollen sie bekleidet, welche davon Impact im Sinne des Purpose haben und wieviel Ressourcen dafür investiert werden. Außerdem stellen die Rollen die Basis für Spannungen dar. Aber dazu gleich mehr.
Damit für die gesamte Organisation eine gemeinsame Governance Struktur gilt, sind die Regeln der Holokratie in einem umfassenden Dokument, der Holokratie Verfassung, festgehalten und stehen für alle zur Einsicht zur Verfügung.
Stichwort Meetings – zur Holokratie gehören zwei grundlegende Arten von Meetings: das Tactical und das Governance Meeting.
Holokratie – und was ist nun anders?
Für einen besseren Überblick, gehe ich auf die beiden zentralen Meetingformate ein. Beide Meetings haben einen eigenen Ablauf und erfüllen, wie erwähnt, einen bestimmten Zweck.
Was sie gemeinsam haben ist die Notwendigkeit eines Facilitators sowie eines Secretarys. Der Facilitator hat in seiner Rolle die Aufgabe Meetings eines Kreises im Einklang mit der Verfassung zu moderieren. Der Secretary ist für die verfassungsmäßig erforderlichen Aufzeichnungen und die Anberaumung von Meetings zuständig. Beide Rollen arbeiten eng zusammen.
Tacticals – diese Schritte machen es aus.
- Check-In Runde
Zu Beginn jedes Meetings geht es darum im hier und jetzt anzukommen und eine gute Basis zu legen, um gemeinsam voranzukommen. Dafür teilen alle Teilnehmer:innen bspw. kurz wie es ihnen geht, was sie bewegt und was sie ggf. brauchen, um gut teilnehmen zu können. Hier merkt man bereits die Eigenverantwortung. Der Facilitator hat die Freiheit die Check-In Frage zu gestalten, führt durch die Runde und veranlasst ggf. Maßnahmen, um geäußerten Bedürfnissen gerecht zu werden.
- Checklisten
Jedes Team hat Routineaufgaben. Hier checken wir unsere wiederkehrenden Tätigkeiten, aber nur hinsichtlich Erfüllung (bspw. overdue tasks im Planner). Die Teilnehmer:innen antworten abhängig davon, ob die Tätigkeit ausgeführt wurde oder nicht, mit “check” oder “no check”. Wiederum ergreift der Facilitator dann ggf. Maßnahmen. Das wird oft einfach die Bitte sein die Aufgaben rasch nachzuholen und dann rückzumelden. Die Idee ist, dass zentrale TO DOs so präsent bleiben.
Vor allen zu sagen, dass man etwas noch nicht erledigt hat, braucht dabei ein vertrauensvolles Umfeld und Sicherheit vor Bestrafung. Insofern zeigt sich hier wiederum, dass Holokratie nur klappt, wenn das Miteinander stimmt.
- KPIs
Hier berichtet jede Rolle die eine KPI (=Key Performance Indicator/Leistungskennzahl) verwaltet über den aktuellen Wert und stellt spezielle, aktuelle Entwicklungen vor. Ein klassisches Beispiel hierfür ist unser Budget.
- Projekte
Bei den Projekt Updates wird jedes aktive Projekt besprochen und die Project Owner:innen geben ein kurzes Update dazu. Zu diesem Zeitpunkt sind Klärungsfragen erlaubt, Disskusionen allerdings nicht, dies müsste sonst als Spannungspunkt in die Agenda aufgenommen werden. Dazu gleich mehr. Wichtig ist, dass der Facilitator in all diesen Schritten auf die Kompaktheit achtet und gleichzeitig achtsam relevante Punkt im Eigenermessen versorgt. Projekte können interne sein (bspw. LinkedIn Strategie) aber natürlich vordergründig unsere Beratungsprojekte.
- Agenda
Spannungen erstellen: Zunächst nimmt der Facilitator alle Spannungen der Teilnehmer:innen auf (in Holaspirit). Idealerweise passiert dieser Vorgang bereits, auf Basis der Eigenverantwortung, vor dem Meeting. Das heißt jede Agenda entsteht in diesem Schritt und wird dann vom Facilitator (ggf. mit Hilfe des Teams) priorisiert.
Spannungen bearbeiten: Jetzt werden der Reihe nach die eingetragenen Spannungen bearbeitet. Eine Spannung ist nichts anderes als ein Anliegen einer Person, die im Sinne ihrer Rollenverantwortung etwas braucht. Anders ausgedrückt: Spannungen werden geäußert, um Dinge zu lösen, die den Personen im Weg stehen, um dem Purpose ihrer Rolle gerecht zu werden.
Das kann aber ganz unterschiedlich aussehen: „ich bräuchte daher von euch eine kurze ad-hoc Resonanz zu meiner Idee“ ist ebenso denkbar wie „würde gerne folgende Optionen abstimmen“.
Als Abschluss jeder Spannung ist die Frage des Facilitators: “Wurde damit deine Spannung behoben?” Wenn diese Frage mit “Ja!” beantwortet wird, kommt die nächste Spannung dran.
- Check-Out
Als Abschluss des Meetings kann hier jede:r Teilnehmer:in die eigenen Gefühle und Wahrnehmungen zum Meeting reflektieren. „Ich gehe gut raus und fühl mich wieder sehr im Bilde“, könnte so ein Kommentar zum Ende sein. „Ich bin recht unruhig, weil so viele Bälle in der Luft sind“ ebenso.
Tacticals und ich – eine andere Erfahrung
Für mich war diese Art ein Meeting zu führen komplett neu und anfangs auch ein wenig überfordernd. Eine Struktur wie diese kannte ich so noch nicht und die andere Dynamik war sofort spürbar. Die vorgegeben Steps der Meetings geben eine klare Richtung und ein deutliches Muster vor, worin man die operativen Themen einordnen und gemeinsam besprechen kann.
Durch die vorgegebenen Rollen bekommt das Ganze eine ganz eigene Dynamik. Durch den Facilitators gibt es temporär eine bestimmte Person im Team, die dafür verantwortlich ist durch das Meeting zu führen und Strukturen einzuhalten. Temporär, weil die Rolle per Wahl kontinuierlich neu vergeben wird, etwa halbjährlich.
Die Rolle ist aus meiner Sicht sehr wichtig und förderlich und wurde in meinen bisherigen Umfeldern so nicht vorgesehen. Eher war es so, dass die Führungskraft das Meeting selbst führte, wodurch es eine noch viel stärkere Fokussierung auf deren hierarchische Macht gab.
Definitiv spannend ist, dass in der Rolle auch Herausforderungen liegen. Beispielsweise ist es trotz der expliziten Rollenverantwortlichkeit im realen Doing nicht so einfach als bspw. junge und wenig erfahrene Mitarbeiterin einem deutlich älteren und sehr senioren Kollegen „danke an dieser Stelle, dein Punkt ist klar, ich möchte jetzt weitergehen“ zu sagen. Informelle Machtstrukturen und die eigene Haltung werden hier sehr gut wahrnehmbar.
Die Neubesetzungen durch Wahlen sorgen außerdem dafür, dass im Team eine gewisse Dynamik bleibt. Jeder macht es ein wenig anders und daher können auch Routinen nicht so leicht einreißen.
Für mich persönlich waren die Tacticals mit einer intensiven Lernphase verbunden. Ich musste mich an die Strukturen und den Ablauf erst gewöhnen und verstehen warum was wann passiert und wann welche Fragen und Antworten Platz haben und wann nicht. Offen gestanden beschäftigt mich der Check-In bis heute noch. Nachdem früher ausschließlich und meistens Hals über Kopf die Meetings zu Themen stattfanden und ich mich als Mensch wenig eingeladen fühlte präsent zu sein, frage ich mich nach wie vor: Wie viel will ich meinen Kolleg:innen eigentlich von mir erzählen? Was hat hier Platz und was geht zu weit? Will ich Berufliches und Privates streng trennen, oder darf das auch etwas verschwimmen? Könnten private Themen an einer Stelle mein Berufsleben beeinflussen?
Aktuell denke ich, dass es die EINE Antwort darauf nicht gibt und es eine fortlaufende Reflexion ist und meine persönliche Haltung auch von meiner Tagesverfassung beeinflusst wird. Das finde ich eigentlich so auch in Ordnung.
Governance als fortlaufender gemeinsamer Prozess
Neben dem Tactical gibt es, wie bereits erwähnt, noch eine weitere Grundform eines Meetings in der Holokratie – das Governance Meeting. Auf den Ablauf und Details werde ich diesmal nicht näher eingehen. Teilen möchte ich aber 2 für mich spannende Dinge dazu:
Allein die Tatsache, dass die Governance fortlaufend Thema ist und bearbeitet wird und jede:r angehalten ist sich mit aktuellen oder benötigten Rollen zu befassen, um die Organisation zu entwickeln, ist eine sehr aktivierende Dynamik gegeben. Für mich hat es spürbar etwas verändert und ich konnte nachvollziehe, inwieweit es die Eigenverantwortung stärkt.
Dazu finde ich auch die Prüfungsfragen, für Governance-Vorschläge extrem spannend. Tatsächlich passiert es ja oft, dass jemand etwas vorschlägt und anderen nur allzu schnell Gründe einfallen, wieso das niemals klappen kann. Um dem vorzubeugen, sieht die Holokratie Fragen vor, um Einwände zu challengen. Das sind beispielsweise diese:
- Sieht jemand einen Grund, warum Schaden entstehen würde oder wir zurückgeworfen würden, wenn dieser Vorschlag angenommen würde?
- Schränkt der Vorschlag eine deiner Rollen ein? Falls ja, welche und inwiefern?
Daran wird klar wieso die Rollen so ein wichtiges Instrument sind. Sehr oft zeigt sich in der Einwandsprüfung dann, dass der Einwand nicht valide ist, also jedenfalls keinen Grund darstellt den Vorschlag zu blockieren. Für die Person, die sich äußert, mag der Vorbehalt schon begründet sein und auch für andere nachvollziehbar. Für die Organisation und deren Entwicklung aber eben nicht.
In meiner Erfahrung kamen Vorschläge früher tendenziell von Führungskräften bzw. waren sie es, die über Annahme oder Ablehnung entschieden. Was die Holokratie damit ermöglicht sind Teilhabe aller, dynamische Veränderungen und die Umsetzung des agilen Leitsatzes „safe enough to try“.
Veränderung braucht Zeit
Holokratie war vor ein paar Monaten noch ein völlig neuer Begriff für mich. Vor meinem ersten Tag bei fifty1 habe ich noch nie von so einer Form der Unternehmensorganisation gehört und schon gar nicht in solchen Strukturen gearbeitet. Diese Veränderung hat dementsprechend für mich viel Zeit gebraucht und ist auch noch nicht abgeschlossen.
Das Thema Holokratie ist tiefgehend und bringt viel mit sich. Da gibt es einiges zu lernen und zu verinnerlichen.
Ich sehe allerdings, gerade im direkten Vergleich zu meinen vergangenen Erfahrungen, deutliche Vorteile. Durch die klaren Prozesse und Strukturen der Meetings kommt eine gewisse Sicherheit auf. Jeder weiß wie ein Meeting abläuft und was zu erwarten ist. Es geht bei dem Inhalt der Meetings nicht um persönliche Tagesverfassungen, sondern mehr darum sich an die Struktur des Meetings zu halten und die wichtigen Punkte gemeinsam abarbeiten zu können.
Der Aspekt des selbstbestimmten Arbeitens bringt Vor- und Nachteile mit sich. Einserseits gibt es nicht so viel Druck wie ich es von einem “klassischen” Vorgesetzten gewohnt war, andererseits muss man selbst sehr gut strukturiert sein um seine Arbeit auch wirklich erledigen zu können. Es gibt viele Freiheiten auf der einen Seite und Verantwortung auf der anderen.
Und auch wenn es im Kreis-Rollen-Modell keine Teamchefs im klassichen Sinn gibt, so bleibt auch hier der Aspekt nicht außen vor, dass Faktoren wie Alter, Erfahrung, Zugehörigkeit oder Persönlichkeit die Machtgefüge prägen. Da kann die Frage „aus welcher Rolle heraus sprichst du mich gerade an?“ sehr hilfreich sein.
Ist die Holokratie eine Allheilsbringerin? Nein, natürlich nicht. Es kommt, wie immer, entscheidend darauf an wie man sie lebt. Ich sehe sie insgesamt aber als sehr wertvoll an und als tolle Möglichkeit Lernen, Augenhöhe und Eigenverantwortung zu fördern.
Ich spüre auch, dass etwas mit mir und meiner Haltung geschieht, auch wenn ich es noch nicht ganz genau benennen kann. Mal sehen, was ich mir in einem Jahr so denke. Vielleicht wird es dann ja wieder Zeit für eine Reflexion in einem neuen fifty1 Insight.
Willkommen in der fifty1 Welt
Mit unserem hXt Beratungsangebot und der fifty1 Akademie machen wir Menschen wirksam und Organisationen zukunftsfit. Es geht darum das Mindset zu entwickeln sich auf Neues und teilweise Ungewohntes einzulassen und die Organisation so zu bauen, dass Menschen Verantwortung übernehmen wollen und können. Wenn dich diese Themen auch beschäftigen, melde dich!
Wir freuen uns auf dich! 😊